Es ist mal wieder Zeit, sich ein paar Fakten anzusehen und sich mit den üblichen Stammtisch-Vorurteilen auseinanderzusetzen.
Unter den letzten Videos, die ich zum Thema Elektromobilität und Elektroautos gemacht habe, habt Ihr richtig viel kommentiert. Und natürlich war auch viel kritisches dabei. Einige Zuschauer meinten sogar, dass Elektroautos nicht mehr aufgeladen werden dürften, wenn der Strom im Moment doch so knapp und teuer ist. Dabei wurde immer ein neues Gesetz aus der Schweiz zitiert, dass das Fahren von Elektroautos bei einer echten Strommangellage einschränkt – wohlgemerkt eingeschränkt – nicht verbietet. Dabei geht es um eine echte Notsituation, die nicht der Normalfall ist – und davon sind wir in Deutschland (und auch in der Schweiz) weit entfernt.
Es ist also mal wieder Zeit, sich ein paar Fakten anzusehen und sich mit den üblichen Stammtisch-Vorurteilen aus den Kommentaren auseinanderzusetzen.
In einem Punkt haben die Kritiker der E-Autos recht: Wenn wir jetzt alle ein Elektroauto hätten und alle gleichzeitig den Stecker reinstecken, dann bricht wahrscheinlich das Stromnetz zusammen. Haben wir denn überhaupt genug elektrischen Strom, damit wir alle elektrisch fahren können?
Fragen wir doch einmal ChatGPT. Im Moment sprechen ja alle drüber und angeblich hat die künstliche Intelligenz ja auf alles eine Antwort.
“Es gibt derzeit genug Strom in Deutschland, um alle Autos auf Elektroantrieb umzustellen. Allerdings müsste das Stromnetz erweitert und verbessert werden, um eine flächendeckende Lademöglichkeit für Elektroautos zu gewährleisten. Außerdem müsste der Anteil erneuerbarer Energien erhöht werden, um sicherzustellen, dass der Strom für Elektroautos aus nachhaltigen Quellen stammt.”
(ChatGPT) auf die Frage: Haben wir genug Strom, damit alle Autos in Deutschland elektrisch fahren können?
Mit der Antwort bin ich nicht so ganz einverstanden. Wir werden ganz sicher mehr Strom brauchen, wenn am Ende alle Autos auf Elektro umgestellt werden sollten. Aber ChatGPT spricht natürlich die wichtigen Themen an, die wir klären müssen damit das funktioniert:
- Netze ausbauen
- Lademöglichkeiten schaffen
- Anteil erneuerbarer Energien ausbauen
Und genau diese Punkte gehen wir in diesem Beitrag und im neuen YouTube Video einmal durch.
YouTube Video: Genug Strom für alle Elektroautos?
1. Netzausbau
Viele von euch befürchten, dass die Stromnetze kollabieren, wenn sich alle ein Elektroauto kaufen. Da bricht doch das Netz zusammen und es kommt zum Blackout, wenn alle gleichzeitig den Stecker reinstecken. Dabei gibt das Wort “gleichzeitig” auch schon einen Lösungsansatz vor, wie das Ganze doch funktionieren kann.
Gleichzeitigkeit
Um das Thema Gleichzeitigkeit zu verdeutlichen, schauen wir uns einmal ein Passagierschiff an. Passt ja auch – Hamburg / Hafen / Passagierdampfer. Diese Schiffe sind Meister in Sachen Gleichzeitigkeit. Denn auf so einem Schiff wie z.B. der AIDA Blue haben 2.500 Passagiere Platz. Dazu kommen noch mal 600 Mann Besatzung – zusammen 3.100 Menschen. Und die wollen tatsächlich alle etwas anderes – zu unterschiedlichen Zeiten. Das Restaurant ist nicht so gross, dass alle gleichzeitig Essen gehen könnten. Es gibt auch keine 3.000 Toiletten auf dem Schiff. Es ist eben so, dass die einen in der Kabine sind, andere sind im Fitness-Studio, an der Bar, Shoppen, wieder andere gehen ins Restaurant oder schauen sich eine Show im Theater an. Die Frage ist, wieviele wollen gleichzeitig z.B. ins Restaurant. Und genau so viele Tische und Stühle braucht es dort – mehr nicht.
Bei Elektroautos ist das genau so. Die einen sind mit dem Auto unterwegs, die anderen sind überhaupt nicht zuhause, im Urlaub oder fahren heute mal mit der Bahn. Andere wiederum sind zuhause und müssen aber nicht laden, weil der Akku noch voll genug ist. Oder sie haben tagsüber geladen während andere erst Abends nach Hause kommen und dann laden wollen.
Zum Thema Gleichzeitigkeit gab es in den letzten Jahren viele Pilotprojekte. Herausgekommen ist, dass die Gleichzeitigkeit ungefähr bei 25% bis 30% liegt. Es werden also nur ca. ein Viertel bis ein Drittel der Elektroautos gleichzeitig laden. Nach heutigem Stand wären unsere Verteilnetze auch damit überfordert. Der Aufwand für den Ausbau ist aber durch die Gleichzeitigkeit erheblich geringer – genau so wie im Restaurant eines Kreuzfahrtschiffs auch keine 3.000 Plätze sein müssen.
Netzdienliches Laden
Zum Thema Netzausbau gehört auch das Netzdienliche Laden. Dafür gibt es seit Jahresbeginn eine Gesetzesänderung im §14a EnWG. Die Bundesnetzagentur hat einen klaren Auftrag bekommen, in diesem Jahr Regeln festzulegen, die ab dem 1.1.2024 verpflichtend gelten sollen. Danach müssen alle neuen Ladepunkte, also z.B. Wallboxen, vom Netzbetreiber steuerbar sein.
Das funktioniert über einen intelligenten Stromzähler – den sogenannten Smartmeter. Droht eine Überlastung des örtlichen Verteilnetzes kann der Netzbetreiber die Wallbox bis auf 3,7 kW Ladeleistung drosseln. Damit lassen sich immer noch in 3 Stunden rund 50 km Reichweite nachladen womit eine Grundmobilität gewährleistet ist. Wenn genügend Strom da ist – z.B. in der Nacht – gibts wieder die volle Leistung. Das ganze nennt man “netzdienliches Laden”.
Eine komplette Abschaltung der Wallbox ist übrigens nicht geplant, auch wenn das von Kritikern immer wieder behauptet wird.
Wir Elektroautofahrer werden uns schon daran gewöhnen müssen, dass wir nicht überall und zu jedem Zeitpunkt die volle Ladeleistung aus dem Stromnetz bekommen können. Und das ist auch kein Problem, da wir die volle Leistung nicht immer brauchen – wie wir gleich noch sehen werden.
Und jetzt kommt das Gute daran: Für das netzdienliche Laden gibts auch eine fette Belohnung in Form von vergünstigten Netzentgelten. Diese sind ein Bestandteil Eures Strompreises, den Ihr für eine Kilowattstunde zahlt. Bisher waren mit steuerbaren Verbrauchseinrichtungen nach §14a EnWG bis zu 10 ct Preisersparnis pro Kilowattstunde drin.
Dafür wurde ein zusätzlichen Stromzähler benötigt, für den nicht immer Platz war. Mit dem Smartmeter reicht jetzt ein Stromzähler, über den Hausverbrauch und Wallbox gesteuert und zusammen abgerechnet werden können. So können alle Verbraucher davon profitieren.
Strombedarf sinkt
Mit Strom Autofahren, mit Strom heizen – Wenn wir in der Zukunft mehr mit Strom machen wollen, dann brauchen wir natürlich auch mehr Strom. Dem gegenüber steht aber, dass der Stromverbrauch abseits von E-Autos und Wärmepumpen seit Jahren zurückgeht. Dafür gibt es 2 Gründe:
- viele Geräte sind heute sparsamer , energieeffizienter
- die Verbraucher gehen bewusster mit Strom um – gerade bei den hohen Preisen.
In den letzten Jahren wurden in Deutschland ca 500 Terrawattstunden Strom im Jahr verbraucht. Das sind 500 Milliarden Kilowattstunden. In 2022 konnten wir den Verbrauch in Deutschland auf 484 Terrawattstunden senken – trotz 100.000 neuer Elektroautos und vielen Tausend Wärmepumpen.
Wir werden ganz sicher mehr Strom brauchen für Elektroautos, Wärmepumpen und die Erzeugung von grünem Wasserstoff. Vor 2 Jahren lag die Prognose mal bei rund 650 Terrawattstunden also rund 30% mehr. Je länger der Trend zum Strom sparen anhält, um so kleiner wird die zu bewältigende Aufgabe.
2. Lademöglichkeiten schaffen
Die meisten Elektroauto Kritiker gehen beim E-Auto Laden immer vom Tanken aus. Einmal vollmachen bitte. Aber für E-Autos passt das nicht. Keiner lädt wirklich voll – es sei denn, eine Urlaubsreise oder längere Tour steht an.
Unter uns E-Autofahrern gibts diesen Spruch: “Steht er dann lädt er.” Denn ein Auto – egal mit welchem Antrieb – steht 90% des Tages nur irgendwo geparkt. Und ein Elektroauto kann in dieser Zeit eben prima nachgeladen werden. Und wenn ich immer wieder überall nachladen kann, in der Zeit, in der ich Einkaufen bin, arbeite, beim Kunden bin, zum Sport gehe, ins Kino oder sonst etwas, dann wir das Auto nie wirklich voll und auch nie leer. Ich habe immer so viel Strom im Akku, dass ich weiter komme und das, ohne dass ich dabei Zeit verliere oder auf das Auto warten muss.
Elektroautos müssen nicht voll aufgeladen werden. Ganz im Gegenteil: Voll aufladen setzt den Akku unter Stress und verkürzt bei einigen Varianten auch deutlich die Lebenszeit. Ich brauche eben nur soviel Strom, dass ich weiter komme. Mehr nicht. Für einen Verbrenner-Fahrer ist das sicher schwer vorstellbar – aber mit dem Elektroauto denkt man da um.
Und diese Eigenart von E-Autos – zusammen mit dem Thema Gleichzeitigkeit, dass wir ja schon besprochen haben, entschärft die Situation, die von den Kritikern immer so heraufbeschworen wird. Die Aufgabe ist machbar und lösbar.
Trotzdem bleibt der Ausbau der Ladeinfrastruktur die wichtigste Aufgabe. Die Produktion von Elektroautos wächst im Moment rund 3x so schnell wie der Ausbau der Ladesäulen. Geplant ist, dass sich später rund 10 Elektroautos einen Ladepunkt teilen – rein rechnerisch wohlgemerkt. Im Moment sind wir wohl bei über 20 – Tendenz steigend.
Wenn man so wie ich schon länger elektrisch fährt, dann merkt man auch, dass es an den Ladesäulen voller wird. Auch wenn sich Verbrenner Fahrer verständlicherweise darüber ärgern, dass schon wieder ein paar Parkplätze für die doofen Elektroautos wegfallen – der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist wichtig und muss deutlich voran gehen. Tesla macht das z.B. mit seinen Superchargern vor. Wer schon einmal mit einem Tesla am Supercharger geladen hat, der weiß, wie einfach und schnell es gehen kann, wenn man sein Elektroauto unterwegs aufladen möchte.
3. Ausbau erneuerbarer Energien
Was nützt das neue Elektroauto, wenn es mit Kohlestrom oder Atomstrom fährt? Nichts. Und genau deshalb ist der Ausbau der erneuerbaren Energien so wichtig. Im letzten Jahr lagen wir schon bei rund 48% im Anteil erneuerbarer Energien im Jahresdurchschnitt. Im Jahr davor waren es rund 42%
Das klingt nach Wachstum? Nicht wirklich, denn der Ausbau geht viel zu langsam. Um das Ziel, 65% oder sogar 80% Erneuerbare Energien in 2030 , wirklich erreichen zu können, müssten wir jetzt endlich den Turbo zünden. Dazu gehört der Ausbau der Windkraft an Land und auf dem Wasser und der Ausbau der Stromtrassen.
Gerade die Stromtrassen, mit denen z.B. der Windstrom aus Norddeutschland nach Baden Würtemberg oder Bayern transportiert werden könnte, wo er dringend gebraucht wird, sind ganz wichtig. Vor kurzem gab es eine Pressemitteilung von Volkswagen. Die haben in einem Modellversuch einmal ausprobiert, welches Potential entsteht, wenn man das Auto als fahrende Batterie ins Netz integriert.
In der Praxis werden Windkraft- oder Photovoltaik-Anlagen abgeschaltet, weil das Netz den Grünstrom nicht immer komplett aufnehmen kann. Allein im Jahr 2021 mussten in Deutschland rund 6.000 Gigawattstunden regenerativ erzeugter Strom abgeregelt werden. Damit hätten rund 2,4 Millionen E-Fahrzeuge ein ganzes Jahr lang fahren können.
Pressemeldung 09/2023 der Volkswagen AG
Etwas salopp gesagt, besteht da also ein Riesen Potential, wenn man einfach ein paar Kabel legen würde.
Photovoltaik
Wir haben jetzt seit 10 Monaten eine Photovoltaik Anlage auf dem Dach. Und zugegeben – wir verbrauchen im Haus schon recht viel Strom – so circa 7.500 Kilowattstunden. Dazu kommt dann der Stromverbrauch für 2 Elektroautos – circa 6.000 Kilowattstunden. Unsere PV Anlage auf dem Dach hat alleine in den ersten 9 Monaten schon über 9.000 Kilowattstunden erzeugt. Über das Jahr gerechnet versorgen wir uns zu mehr als 50% selbst – wir sind also zu über der Hälfte schon quasi autark und entlasten damit das Stromnetz. Speziell im Sommer haben wir viel Strom über, den wir ins Stromnetz einspeisen und damit unsere Nachbarschaft versorgen.
Ich weiß, was jetzt kommt: Ein Tesla in der Garage für 60.000 Euro und eine PV Anlage auf dem Dach für 30.000 Euro oder mehr – das kann sich doch nicht jeder leisten. Richtig.
Aber wenn Du mal mit offenen Augen durch Deine Stadt fährst, und Dir mal vorstellst, auf wie vielen Dächern Photovoltaik möglich wäre, weil da grundsätzlich noch Platz auf dem Dach ist, dann bekommst Du eine Vorstellung davon, welches Potential wir ganz einfach heben können, bevor wir weiter fossile Energieträger oder gar Atomkraft zur Stromerzeugung nutzen sollen.
Ja – es geht!
Viele Elektroautos sind also grundsätzlich kein Problem für unsere Stromnetze. Ganz im Gegenteil – wenn sie netzdienlich laden und später auch mal bidirektional ( also nicht nur Strom aus dem Netz laden sondern auch Strom aus der Batterie ins Netz oder ins Haus zurückgeben können ) sind Elektroautos ein fester Baustein der Energiewende, ohne die wir das nicht schaffen werden.
Also – JA es geht, dass die Mehrheit von uns einmal elektrisch fahren wird.
Die Elektromobilität ist in Verbindung mit dem Thema Stromnetz und erneuerbaren Energien ein super spannender Bereich, in dem Innovationen und echtes Wirtschaftswachstum stecken und in dem viele neue Arbeitsplätze entstehen.
Wenn Ihr glaubt, ein ordentliches Auto muss Krach machen und mit 5 Minuten Tanken 1.000 Kilometer weit kommen – dann bleibt dabei. Keiner will Euch den Eimer wegnehmen. Aber das E-Auto ist Gegenwart und Zukunft der Mobilität – so wie das Smartphone die Zukunft war, als wir alle ein Nokia in der Tasche hatten. Und das Nokia habt Ihr doch auch irgendwann freiwillig in die Schublade gelegt, weil das Smartphone so viel besser war…